Vues aériennes de Wolfenschiessen
Zwei mittelalterliche Burganlagen erinnern im Dorf Wolfenschiessen an die Herren von Wolfenschiessen. Über die Herkunft der Familie ist sozusagen nichts bekannt. Möglicherweise handelte es sich um eine angesehene Bauernfamilie, die dank Solddiensten in Italien um 1200 in den Ritterstand aufstieg. Anfang des 13. Jahrhunderts trat das Geschlecht in die Dienste des Klosters Engelberg und stellte die Ammänner für die Verwaltung des Klosterbesitzes, ohne aber ihre Allodialgüter auf Rodungsland zu vernachlässigen. Das Geschlecht ist mit dem Stammvater Eglolf von Wolfenschiessen zu beginn des 13. Jahrhunderts urkundlich gesichert. Zwei seiner fünft Söhne waren die Begründer der beiden Hauptlinien der Familie. Als Stammsitz der Linie „am Stein“ („ab dien Stein“) diente eine heute verschwundene feste auf dem Hubel, einer markanten, rund zwanzig Meter hohen felsigen Erhebung, während die zweite Burg talaufwärts im sogenannten Dörfli der anderen Linie als Behausung diente. Die Anlage, an der Hauptstrasse gegen Engelberg gelegen, bildet im Grundriss ein Rechteck und besteht aus einem Wohnturm für die Burgherren und einer Umfassungsmauer, an welche sich im Innern verschiedene bauten anlehnten, die als Stapelplatz für Waren, als Stallungen für Tiere und als Unterkunft für Reisende dienten. Die Ruine heisst heute noch im Volksmund „alte Engelberger Sust“. An der vorderen, talabwärts gerichteten Ecke erhebt sich der heute zweistöckige, nur noch sieben Meter hohe Wohnturm mit quadratischem Grundriss. Er besteht aus kleinem, rohem Mauerwerk sowie aus grösseren, behauenen Eckquadern. Seine Mauerstärke beträgt lediglich einen Meter. Der ehemalige Eingang lag auf der Nordseite. Wohnturm und Bering waren gleichzeitig errichtet worden. Vom Hof gelangt man durch eine ebenerdige Spitzbogentür ins Erdgeschoss, das nur durch zwei schmale Schlitze erhellt wird. Die Spitzbogentüre war durch einen eichenen Sperrriegel gesichert. Das obere einräumige Geschoss wurde zu Wohnzwecken benutzt: ein grosses spitzbogiges Doppelfenster mit sandsteinernem Gewände und Mittelpfosten und gemauerten Nischenbänken in der Westseite sowie ein weiteres Fenster im Süden boten genügend Licht. Die Fenster wurden – wie oft bei Toranlagen – mit einem inneren Schiebebalken gesichert. Dieser Raum besass eine zweite Tür, die auf einen Holzbalkon und eine schräg der Aussenmauer entlang laufende Holztreppe führte. Überreste seitlich vom Fenster lassen einen frühen Kamin vermuten. An den Turm lehnte sich südöstlich das Wohngebäude an, das von einem Holzbau abgeschlossen wurde. Von der ehemaligen Umfassungsmauer sind nur noch klägliche Überreste an der Nordost- und Südwestecke erhalten. Der Verputz zeigt noch an wenigen Stellen Spuren eines Fugenstrichs. Die innere Überbauung des Hofraums mit Holzgebäuden stammt aus einer späteren Epoche (Mitte 14. Jahrhundert), als die Ritter von Wolfenschiessen als Ammänner des Klosters Engelberg Susträume zur Lagerung der Abgaben benötigten. Für das Kloster bildete die Sust in Wolfenschiessen einen wichtigen Etappenort des klösterlichen Warenverkehrs mit dem Unterland. Die befestigte Anlage, die ihre Bedeutung als Sust bald verloren hatte, wurde um 1500 als grosses, einheitliches Bauernhaus benutzt. Der Luzerner Stadtschreiber Renwart Cysat berichtete bereits um 1600: „... von Wolfenschiessen in Underwalden nidt dem Wald wird der alte adelich Sitz noch gespürt, ist zu einem Purenhuss gemacht“. In unserem Jahrhundert wurde die Anlage durch das Einbrechen von Schaufenstern ins Mauerwerk und durch sonstige Eingriffe bedroht. Ein Sturm wütete im Winter 1919 – glücklicherweise – derart, dass der Besitzer das Holzwerk abbrechen musste, worauf die ursprüngliche Anlage wieder deutlich sichtbar wurde. 1923 wechselte die Ruine für tausend Franken den Besitzer. Der neue Eigentümer, der Historische Verein von Nidwalden, liess die Anlage wiederherstellen, doch wurde die Burg dauernd von böswilligen Zerstörungen heimgesucht. So wurde 1924 der ganze hintere Teil der neu restaurierten Umfassungsmauer niedergebrochen, und der Justizkommission wollte es nach erfolgter Klage nicht gelingen, die Urheber des Schadens ausfindig zu machen. So schleppte sich die endgültige Rennovation nur langsam hin. Erst 1962 konnten die Überreste nach denkmalpflegerischen Richtlinien erneuert werden. Der heutige Zustand des Turms beruht weitgehend auf Rekonstruktionen. Anstelle des jetzigen Pyramidendaches hat man sich wohl eher ein flaches Zeltdach vorzustellen. Auch über den Oberbau des Turms sind wir im unklaren. Er könnte aus Holz oder aus Riegelwerk bestanden haben.
Die Bewohner der Burg waren eng mit der Geschichte des Tals verknüpft. Berchtold von Wolfenschiessen, Sohn des Eglolf, gehörte um 1240 zur politischen Oberschicht des Landes. Seine Nachkommen Walther, Johann und Ulrich leiteten jeweils als Ammänner das Geschick des Tals und erfreuten sich beim Volk grosser Beliebtheit. Ulrich von Wolfenschiessen errangt um 1350 sogar die Würde eines Nidwaldner Landammanns. Die allmähliche Auflösung der klösterlichen Herrschaft in Nidwalden begünstigte den Niedergang der Familie. Sie sank wieder ins Bauerntum ab und starb um 1610 aus. Der Ehehandel um 1470 von Uli Ammanns von Wolfenschiessen und Margaret Zelger hatte jahrelang die verschiedenen Gerichte im Lande beschäftigt, denn die Wolfenschiessen galten nicht mehr als sozial ebenbürtige Partner.
Die Burg Wolfenschiessen erinnert an die Befreiungssage der Innerschweiz. Der übermütige Vogt zu Rotzberg wird als Vertreter der Familie von Wolfenschiessen bezeichnet. In den älteren Überlieferungen wurde der Name aber nicht erwähnt. Erst Aegidius Tschudi bezog die Geschichte vom geilen Vogt, der eine ehrbare Frau von Altsellen beim gemeinsamen Bad nötigen wollte, auf den Burgherrn von Wolfenschiessen. Friedrich Schiller übernahm diese Schilderung und verarbeitete sie in seinem Schauspiel „Wilhelm Tell“.
Von den Restaurierungsarbeiten von 1962 konnte das Schweizerische Landesmuseum 1961 einige Sondierschnitte im Burggelände anlegen. Kleinfunde wurde keine getätigt, weil keine Kulturschicht vorlag und die Schnitte für eventuelle Streufunde flächenmässig zu klein waren. Die Mauerdicke des Turms beträgt im Fundament und im aufgehenden Mauerwerk bis zum ersten Obergeschoss durchschnittlich 0.95 bis 1 Meter. Weiter oben verjüngt sich die Mauer auf 80 cm. Besonders aber überraschte die Ausgräber die geringe Fundation des Bauwerks. Im Süden konnte ein ebenerdiger, rundbogiger Eingang mit Tuffgewände festgestellt werden. Die sorgfältig gefügten Gewändsteine und vor allem die Decksteine des westlich anschliessenden Kanals für den Sperrbalken des Tors zeigten auf, dass dieser Eingang der ursprüngliche gewesen war und nicht etwa nachträglich hineingebrochen wurde. Geringe Fundation, geringe Mauerstärke und ebenerdiger Zugang lassen vermuten, es habe sich beim Turm von Wolfenschiessen eher um ein festes Haus als um einen eigentlichen Wehrturm gehandelt. Ähnliche Verhältnisse finden wir in Bürglen, beim Stauffacherturm in Steinen oder beim 1970 wegen eines Neubaus abgebrochenen Salzhofturm von Brig.
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