Ticino Tessin : Malvaglia

Casa dei Pagani (en français)

Unter den rätselhaften Grottenburgen des Bleniotals und der Leventina zählt die Anlage von Malvaglia zu den am schwersten zugänglichen. Auf einem schmalen Felsvorsprung über einem lotrechten Abgrund gelegen, blickt die kleine Burg der Orino-Schlucht auf das tief unter ihr gestaffelte Dorf Malvaglia hinunter. Um ins Innere der Anlage zu gelangen, muss man in waghalsiger Kletterei einen jähen Felsabsturz durchqueren. Selbstverständlich liess sich der Zugang im Mittelalter, als die Burg bewohnt war, mit Hilfe von Steinterrassen und Holzgerüsten leichter bewältigen. Auflager haben sich erhalten.

Gründliche und ergiebige archäologische Untersuchungen haben zwischen 1975 und 1978 im Innern der Anlage bedeutende Befunde zutage gefördert, die nicht nur aufschlussreiche Angaben über die Casa dei Pagani von Malvaglia vermitteln, sondern auch Licht in die ganze Gruppe dieser sagenumwobenen Grottenburgen zu bringen vermögen. Die Bauuntersuchungen haben gezeigt, dass die Anlage aus einem langgestreckten Wohntrakt mit zwei vorgelagerten Traversen besteht, die einen feindlichen Kletterangriff von der rückwärtigen, schluchtaufwärts gerichteten Seite her verhindern mussten.

Der Wohntrakt erhob sich auf einem mächtigen Mauersockel von 15 Metern Länge und 3 Metern Breite. Die westliche Schmalseite wurde von einer massiven, gerundet bis an den überhängenden Felsen hochgezogenen Mauer gebildet, in der sich die Eingangstüre befand. Die übrigen Seiten des dreistöckigen, rückwärts an den Felsen gelehnten Gebäudes bestanden aus Holzkonstruktionen. Am Felsen sind zahlreiche Bearbeitungsspuren beobachtet worden, vor allem verschiedenartig geformte Balken- und Pfostenlöcher. Diese dienten teils auf Auflager für die hölzernen Zwischenböden und die Dachkonstruktion, teils als Verankerungslöcher für das beim Bau der Anlage erforderliche Holzgerüst. Fugen im Mauerwerk und unterschiedliche Mörtelzusammensetzungen, die anlässlich der Bauuntersuchung festgestellt werden konnten, weisen auf verschiedene Bauphasen hin, die ihrerseits als Belege für eine längere Benutzungszeit der Anlage zu deuten sind. Gewisse bauliche Veränderungen, die der Spätzeit angehören, lassen erkennen, dass die Burganlage einige Zeit vor ihrer Auflassung ihren Wehrcharakter eingebüsst und offenbar nur noch friedlichen Wohnzwecke gedient hatte.


Von geradezu sensationeller Bedeutung sind die im Innern der Anlage geborgenen Kleinfunde. Das schützende Felsdach und die den regen abhaltende Westmauer hatten eine derartige Trockenheit im dünnen Erdreich auf dem Mauersockel erzeugt, dass auch Gegenstände aus leicht vergänglichem Material erhalten blieben und unversehrt gesammelt werden konnten. Unter den Holzfunden sind ausser Bauteilen vor allem verschieden geformte Gefässe zu erwähnen, die zusammen mit den Leder- und Textilfragmenten als Raritäten ersten Ranges zu gelten haben. Der sozial gehobene Stand der Burgbewohner wird durch eine reihe von Metallfunden belegt, durch Pfeileisen, Schmuckstücke aus Buntmetall, Münzen und eine Feinwaage. Eher unerwartet kamen auch Hufnägel und Hufeisenfragmente zu Vorschein. Sie beweisen, dass die kleine Burg im Mittelalter einen besseren Zugang aufwies als heute. Fragmente von Specksteingefässen und Tongeschirr sind dem Alltagsleben zuzuweisen. Sie entstammen einer bodenebenen Feuerstelle, die in der Nähe des Eingangs gefunden wurde und zum Kochen und Heizen gedient hatte.

Verschiedene Funde vermitteln wichtige Hinweise auf die Zeitstellung der Anlage. Die ältesten Pfeileisen stammen aus dem 11. Jahrhundert, die jüngsten datierbaren Objekte passen in die Zeit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert. Die bestimmbaren Münzen sind zwischen 1150 und 1300 geprägt worden, und das Fragment einer Pergamenturkunde mit noch lesbaren Schriftzügen, ein Stück von unglaublichen Seltenheitswert, ist vom 1. September 1308 datiert. Die Gesamtheit der Kleinfunde beweist die hoch- und spätmittelalterliche Zeitstellung der Anlage schlüssig. Leider fehlen uns schriftliche Nachrichten über die Burg. Ihre Erbauer und Bewohner bleiben somit einstweilen unbekannt. Die bedeutende, schon im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnte Pfarrkirche, die wichtige Rolle des Dorfes im Transitverkehr über den Lukmanier und die regelmässig in Malvaglia abgehaltenen Versammlungen der Talleute lassen die Umrisse eines alten Herrschafts- oder Verwaltungsbezirks erkennen, dessen Zentrum in der Casa dei Pagani zu suchen ist.

Bibliographie

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Grynau

©Les châteaux suisses. Die Schweizer Schlösser. The Swiss Castles